Image Principale
Die Geometrische Verankerung von Prothesen

3.1. Die Methode der WachstumsFaktoren

3.1.1. Zusammenfassung

Zur Bereitstellung serienmĂ€ssig produzierter SchĂ€fte fĂŒr eine grosse Anzahl unterschiedlicher Patienten mĂŒssen anatomische Abweichungen, die weitgehend unabhĂ€ngige GrĂŒnde und ganz unterschiedliche Ausmasse haben, berĂŒcksichtigt werden. Wie zum Beispiel die OberschenkellĂ€nge, die vor allem von der Grösse des Patienten abhĂ€ngt, und der Markrauminnendurchmesser, der sich vor allem mit Alter und AktivitĂ€t des Patienten Ă€ndert.

Um dieses Ergebnis zu erreichen, mĂŒssen die Prothesenmasse (Breite, LĂ€nge, Dicke), die Halsmasse (LĂ€nge, Durchmesser) regelmĂ€ssig von einer Grösse zur nĂ€chsten mit unabhĂ€ngig fĂŒr jede Grösse definierten prozentualen Werten ansteigen.

Das sind diese multiplikativen Faktoren (analog zu ZinssĂ€tzen), die ich seit 1981 „Wachstumsfaktoren“ oder „Growing Factors“ oder „GF“ nenne.

3.1.2. Die WachstumsFaktoren

Die WachstumsFaktoren bilden die Grundlage der mathematischen Methode, die ich speziell zur Berechnung von optimierten Implantatserien entwickelte. Diese Methode ermöglicht zudem eine gleichzeitige Berechnung sÀmtlicher Grössen der Serie.

Zur Bereitstellung optimaler in Serie und nicht individuell angefertigter SchĂ€fte fĂŒr eine grosse Anzahl unterschiedlicher Patienten mĂŒssen die anatomischen Abweichungen, die weitgehend unabhĂ€ngige GrĂŒnde und ganz unterschiedliche Amplituden haben, berĂŒcksichtigt werden. Wie zum Beispiel die OberschenkellĂ€nge, die in erster Linie von der Grösse des Patienten abhĂ€ngt, und der Markraum innendurchmesser, der sich vor allem mit Alter und AktivitĂ€t des Patienten Ă€ndert.

Um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen, mĂŒssen LĂ€nge, Breite und Dicke der Prothese sowie HalslĂ€nge und –durchmesser in regelmĂ€ssigen Schritten von einer Grösse zur nĂ€chsten angehoben werden. Bei den Optimierten Grössen variiere ich alle Masse von einer Grösse zur nĂ€chsten mit Hilfe prozentual bestimmter und fĂŒr jedes Mass unabhĂ€ngiger Werte.

3.1.3. Vereinfachte Beispiele zur Bedeutung der Methode

Zur Vereinfachung der ErklÀrung möchte ich mich hier auf die SchaftlÀngen und Schaftbreiten sowie die HalslÀngen beschrÀnken (andere Masse eignen sich weniger gut zur Demonstration).

Nehmen wir als Beispiel eine Serie mit 16 Grössen, die alle Patienten bedienen soll. Die Grösse der Patienten variiert zwischen 1,4 m und 2 m.

Vom grössten zum kleinsten Patienten ergibt sich folglich ein Variationsfaktor von 1,43 (43%). Diese Variation muss nun auf die 16 Grössen der Serie verteilt werden. Die den Markraumdurchmessern entsprechenden Schaftbreiten weisen fĂŒr dieselbe Patientengruppe zwischen 6 mm und 30 mm variierende Werte auf. Dies entspricht einem Gesamtvariationsfaktor von 5 (400%), der ebenfalls regelmĂ€ssig auf die 16 Grössen zu verteilen ist.

WĂŒrde der LĂ€ngenfaktor von 1,43 auch zur Variierung der Breite verwendet, erhielte man SchĂ€fte mit viel zu geringer Breitenvariierung (zum Beispiel zwischen 10 und 14 mm), die weder fĂŒr Patienten mit einem Markraum von 6 mm noch fĂŒr Patienten mit einem Markraum von 30 mm verwendet werden können.

Eine wirklich zufriedenstellende Lösung dieses Problems lÀsst sich durch eine lineare Intervallstaffelung zwischen der grössten und der kleinsten Grösse jeden Masses nicht erzielen.

Beispiel einer Schaftserie mit den Breiten 10, 12.5, 15, 17.5, 20. (Breiten der ZweymĂŒller-SchĂ€fte der ersten Generation). Zwischen 10 und 12.5 betrĂ€gt der Anstieg 25 %. Zwischen 17.5 und 20 betrĂ€gt der Anstieg nur 14.3 %.

FĂŒr einen Patienten, dessen Femur theoretisch einen Schaft der Grösse 12 benötigt hĂ€tte, existiert also nur die Grösse 10. Der Patient erhielte fĂŒr seinen Femur eine um 20 % zu kleine Prothese. Diese mangelhafte Implantation beinhaltet eindeutig das Risiko eines Einsinkens der Prothese (dieser Fall ereignete sich mehr als 10 Mal in meiner Anwesenheit).

Ein Patient dagegen, fĂŒr dessen Femur ein Schaft der Grösse 17 ideal wĂ€re, erhĂ€lt die verfĂŒgbare Grösse 15, die fĂŒr seinen Oberschenkel also nur um 12 % zu klein ist. Dieser Patient ist damit „weitaus“ besser ausgestattet. Die Femurgrösse dieses Patienten hĂ€tte ĂŒbrigens durch zusĂ€tzliche Raspelung ohne jedes Risiko auf 17.5 angehoben werden können. Bei dem kleinen Oberschenkelknochen des vorigen Beispiels wĂ€re dies dagegen nicht möglich gewesen.

Bei einer kleinen Anzahl linear gestaffelter Grössen wird derjenige, der die Operation durchfĂŒhrt, von einem Patienten zum anderen zu völlig unterschiedlichem Handeln veranlasst. Kleine Patienten erhalten zudem hĂ€ufiger unpassende Grössen.

Auf dem Markt existierten sogenannte „millimetrische“ Prothesen, die das Problem fĂŒr den Patienten recht gut lösten, bei denen die AbstĂ€nde zwischen den sehr grossen Grössen jedoch unnötig nahe beieinander lagen. Auch erforderten sie einen zu umfangreichen Bestand.

Ich forschte daher nach einem mathematischen Modell, das allen Patienten, dem kleinsten wie dem grössten, die absolut gleichen Chancen einrĂ€umt, möglichst annĂ€hrend die ideale Grösse zu erhalten, mit einer bei allen Patienten konstanten Mangel- und Unsicherheitsrate. Derjenige, der die Operation durchfĂŒhrt, sollte zudem bei der Grössenauswahl fĂŒr all seine Patienten das gleiche Verhalten beibehalten.

Ich bestimmte den Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Grössen dergestalt, dass derjenige, der die Operation durchfĂŒhrt, stets problemlos eine halbe Grösse zusĂ€tzlich oder notfalls auch etwas mehr raspeln kann. Das ist das Hauptprinzip des Konzepts der Optimierten Grössen.

3.1.4. Auswahl der WachstumsFaktoren

ZunĂ€chst bestimmte ich von allen Implantatsmassen diejenigen, die von einer zur nĂ€chsten Grösse variieren mĂŒssen und eine unabhĂ€ngige Logik besitzen, und diejenigen, die eine in sich schlĂŒssige Variationslogik besitzen.

Maximal 8 verschiedene WachstumsFaktoren schienen mir fĂŒr die Berechungsmethode ausreichend.

1. wichtige Faktoren, die beispielsweise die Schaftbreite, die LÀnge der Knochenverankerungszone, die HalslÀnge und die AnteroPosteriore Dicke bestimmen

2. Faktoren, die zum Beispiel fĂŒr die VerĂ€nderung des Halsdurchmessers am Konusbasis und der Ausmasse des TrochanterflĂŒgels verantwortlich sind

3. und eventuell Faktoren mit einem sekundÀren Nutzen, wie zum Beispiel der Durchmesser der Nahtlöcher, deren VerÀnderung zwar nur Àsthetische Bedeutung hat, die der Serie jedoch einen positiven Eindruck der KontinuitÀt verleihen.

Einige zusÀtzliche Faktoren ergeben sich durch die lineare Kombination zwei der oben genannten Faktoren, die beispielsweise der Staffelung des Entwurfs der Distalspitzenbögen dienen.

Jedes Element der WachstumsFaktorenTabelle entsteht durch die sukzessiven Potenzen des jeweiligen fĂŒr die 16 vorgesehenen Grössen des gewĂ€hlten Wachstumsfaktors. Die mittlere Grösse dient als Ausgangspunkt fĂŒr die Grössenstaffelung in beide Richtungen, nach oben und nach unten. Die Grössen ĂŒberhalb der Mittelgrösse erhalten positive Potenzen des jeweiligen Wachstumsfaktors, die Grössen unterhalb erhalten negative Potenzen.

Falls erforderlich kann die Faktoren- und Grössenanzahl der Software erhöht werden.

image3
Vereinfachtes Beispiel eines Vektorraums mit 16 Dimensionen, fĂŒr 4 Grössen.

Die vollstĂ€ndige Geometrie des Implantats ist in einem Informatikprogramm detailliert beschrieben, das fĂŒr alle Grössen der Prothesenserie gilt. Das spezifische Beschreibungsprogramm einer Implantatserie beinhaltet ca. 4.000 Befehle. FĂŒr die Entwicklung dieser Implantate wurde kein Zeichenprogramm verwendet. Jeder Punkt und jede geometrische Einzelheit wurde mathematisch formuliert. Es wurde weder ein NĂ€herungswert, noch eine KurvenglĂ€ttung oder ein automatisches Kurvenzeichnungssystem verwendet.

In meinem System werden alle Grössen gleichzeitig berechnet. Das Beschreibungsprogramm beinhaltet sĂ€mtliche BezĂŒge zwischen den aufeinanderfolgenden Grössen, wĂ€hrend die Entwicklung der konkurrierenden Prothesen ausnahmslos mit Hilfe einer computergestĂŒtzten Zeichensoftware erfolgt und eine Grösse nach der anderen entworfen wird. Zwischen den einzelnen Grössenabstufungen besteht keinerlei Bezug und die Masse werden manuell bestimmt und erfasst.

3.1.5. Das System verwendet gewisse Eigenschaften der VektorrÀume

Statt der Berechnung einer dreidimensionalen Grössenserie in einem gewöhnlichen orthonormierten Raum, in dem die im rechten Winkel zueinander stehenden Vektoren auf der X-, Y- und Z-Achse die LÀnge der verwendeten Masseinheit besitzen (z.B. Millimeter), berechne ich die Serie der optimierten Grössen in einem Vektorraum mit 8 Dimensionen pro Grösse. Die 16 Potenzen jedes Wachstumsfaktors bestimmen 16 co-lineare Vektoren unterschiedlicher LÀnge. Die 8 Wachstumsfaktoren können 8 unterschiedlichen Richtungen im Raum zugewiesen werden, wobei einige im rechten Winkel zueinander stehen und andere in unabhÀngige Richtungen zeigen. So wird die Grössenserie des Beispiels in einem nicht orthonormierten Vektorraum mit 128 Dimensionen berechnet, der gleichzeitig die Koordinaten der 160.000 Punkte aller Grössen der Serie beeinhaltet.

Die erhaltenen Koordinaten werden in der sogenannten Koordinatenbasis gespeichert ( anders als der Parameterbasis). Da alle Implantatspunkte eine bekannte Position besitzen und nummeriert sind, können die Koordinaten zur ÜberprĂŒfung oder Entnahme von Kontrollwerten fĂŒr die Produktion jederzeit von den Tabellen abgelesen werden.

Nach Ende der Berechnungen wird jede Grösse selbstverstĂ€ndlich isoliert betrachtet und fĂŒr die digitale Produktion in einen herkömmlichen orthonormierten 3 dimensionale Raum projiziert. Mit Hilfe meiner Software Transmission-Basis fĂŒr die Übertragung zur Produktion können allein die fĂŒr die Produktion nĂŒtzlichen Koordinaten in der vom Hersteller erforderlichen gĂŒnstigsten Anordnung extrahiert werden. Der Hersteller sorgt fĂŒr die spezifische Anpassung an die digitale Verarbeitung. Die Beschreibung der Übertragung ist einzigartig und gilt fĂŒr alle Grössen.

3.1.6. Grundlegende Wahl des Koordinatenursprungs

Dieser Methode liegt die Wahl des Vektorraums als gemeinsamer Ursprung und folglich der Koordinatenursprung zugrunde.

Hinsichtlich der ProthesenschĂ€fte bestimmte ich das Wachstums- und Koordinatenzentrum am Schnittpunkt der LĂ€ngenachse des Proximaldrittels und der theoretischen vom Zentrum des Femurkopfes und der durchschnittlichen Halsrichtung definierten Achse (dies gilt fĂŒr einen symmetrischen Schaft, unsymmetrische SchĂ€fte werden etwas anders behandelt).

image2
Superponierter, mit Wachstumsfaktoren berechneten SL-Plus-SchÀfte.

Bei einem nach der Methode der Wachstumsfaktoren konstruierten Implantat wird jedes Strukturdetail von einem oder mehreren der 8 zur VerfĂŒgung stehenden Wachstumsfaktoren bestimmt. Beispielsweise die 45°-AbschrĂ€gungen der SL-Plus-SchĂ€fte entlang der gesamten Verankerungszone an den 4 Ecken des rechteckigen Schnitts werden ebenfalls mit Hilfe von Wachstumsfaktoren bestimmt und erfĂŒllen die Prinzipien der Konischen Kupplung und des Aufsteigenden Einschachtelungs bis auf den Mikrometer genau.

Die Breite dieser SchrĂ€gkanten nimmt von der Distalspitze bis zum Proximalabschnitt regelmĂ€ssig zu und variiert bei jeder Grösse. In keinem Fall handelt es sich um mit Hilfe einer graphischen Software automatisch eingefĂŒhrte AbschrĂ€gungen oder Kantenabrundungen mit konstanten Massen. Das VerhĂ€ltnis zwischen diesen AbschrĂ€gungen und der entsprechenden Form der RaspelzĂ€hne ist von grosser Bedeutung und soll gesondert dargelegt werden.

Im Gegensatz zu manchen prmitiven Behauptungen wurde die Serie der SL-SchÀfte folglich nicht durch Homothetie oder photographische Vergrösserung, das heisst mit einem einzigen in allen Raumrichtungen konstanten Faktor, hergestellt.

image4
Anwendungsbeispiel der Methode der Wachstumsfaktoren bei Bicon-Pfannen aus Titan

3.1.7. Vergleich zwischen ZweymĂŒller SL Schaft und dem MĂŒller Geradschaft

Als Beispiel hier der ohne Wachstumsfaktoren entworfene gerade Schaft von MĂŒller: die LĂ€nge des Metallhalses ist fĂŒr alle GrĂ¶ĂŸen konstant, der Kopf ist fest und der Operateur verfĂŒgt ĂŒber keinerlei Ausgleichsmöglichkeit fĂŒr die verbleibenden GelenkspannungsabstĂ€nde nach ZementverhĂ€rtung.

Bei den Varianten und zahlreichen Imitationen der selbstblockierenden Prothesen von MĂŒller mit austauschbaren Köpfen war die konstante LĂ€nge des Metallhalses zu lang fĂŒr die kleinen GrĂ¶ĂŸen und zu kurz fĂŒr die großen GrĂ¶ĂŸen.

Die kurzen, mittleren und langen HĂ€lse der Modularköpfe werden zum Ausgleich des fehlenden Halsunterschiedes verwendet und stehen folglich nicht mehr fĂŒr die letzten Gelenkspannungskorrekturen zur VerfĂŒgung.

image1
Übereinandergelegte MĂŒller-SchĂ€fte, die ohne WachstumsFaktoren gezeichnet wurden. Die mediale Zeichnung Calcarbogen ist fĂŒr alle GrĂ¶ĂŸen identisch. Die Erweiterung des Schaftes wird nur durch die Verschiebung des Seitenumrisses erhalten. Die Dicke aller GrĂ¶ĂŸen ist praktisch konstant. HalslĂ€nge auch konstant.

In meinem bei den ZweymĂŒller-Prothesen angewandten Konzept variieren die MetallhĂ€lse regelmĂ€ĂŸig und mĂŒssen die Köpfe mit kurzen, mittleren und langen HĂ€lsen dem Ausgleich der verbleibenden GelenkspannungsabstĂ€nde vorbehalten werden.

----

Die Methode der Optimierten grössen

Inhaltsverzeichnis