2.10. Zu den Mikrobewegungen
2.10.1. Zusammenfassung
Da die Bewegungen sich je nach Art grundverschieden auf das mittelfristige Verhalten des Implantats im Knochen auswirken, habe ich zwischen radiologisch und makroskopisch zu beobachtenden Bewegungen und relativen nicht zu beobachtenden Bewegungen von sehr geringem AusmaĂ unterschieden. Diese Bewegungen, die ich Mikrobewegungen nannte, beschĂ€digen regelmĂ€Ăig die BerĂŒhrungsflĂ€che von Knochen und Implantat und verhindern die Bildung der SekundĂ€rstabilitĂ€t durch Osseointegration.
Die Mikrobewegungen gelten als Auslöser fĂŒr die Wanderung der starre Implantate.
Die Verankerung der Prothese muss dem Auftreten kleiner Bewegungen im Knochenbett, die die Knochenzellen zerstören können, vorbeugen und verhindern, dass die Knochenzellen ihren Kristallbestandteil in unmittelbarer NÀhe des Implantats bilden.
Die Verwendung einer dĂŒnnen Titanwand bei der Bicon-Gelenkpfanne ermöglichte die Beseitigung von Mikrobewegungen zwischen Knochen und Implantat, da sich der Knochen und das Titan gleichzeitig, makroskopisch und mikroskopisch verformten. So konnte ein Wandern der Gelenkpfanne unterbunden werden.
2.10.2. Mikrobewegungen und Makrobewegungen
Folgende Unterscheidung erschien mir hilfreich:
1. zwischen den minimalen, radiologisch nicht erfassbaren Bewegungen, die grösser sind als die Knochenzellen und die LangzeitstabilitÀt nicht unbedingt kompromittieren und die ich Mikrobewegungen nenne, einerseits
2. und den sicht- und messbaren Bewegungen eines Implantats im VerhÀltnis zu seinem Knochenbett, die durch fehlende PrimÀrstabilitÀt oder Lockerung entstehen, die Makrobewegungen, andererseits.
Zur SekundÀrbefestigung der Prothese im Knochenbett in den Wochen oder Monaten nach der Implantation muss die Immobilisierung ein mit der Osseointegration, wie Professor Felix Lintner sie beschreibt, kompatibles QualitÀtsniveau erreichen.
Die OberflÀchenmikrostruktur der Titanprothesen, die durch das Bestrahlung mit Korundkörnchen (eine Sorte der Aluminiumoxydkristalle) entsteht, besitzt Krater von der Grössenordnung der Knochenzellen sowie feinere Strukturen.
Die OberflĂ€chenmikrostruktur, die durch unter Plasma SprĂŒhen von Biostoffen, wie Hydroxyapatit, entsteht, weist Vertiefungen derselben Grösse auf. Zudem ist die so entstandene reelle OberflĂ€che wesentlich grösser als eine glatte und polierte OberflĂ€che.
2.10.3. Konsequenzen der relativen Bewegungen zwischen Implantat und Knochen
Betrachten wir einen ganz bestimmten Punkt einer Knochen-Implantats-Verbindung mit BerĂŒhrung im Ruhezustand: WĂŒrden bei einer einem Metallkrater gegenĂŒberliegenden Knochenzelle von 30 Mikrometern Durchmesser regelmĂ€ssig 100 Mikrometer auf die makroskopische Kupplungsebene verschoben, verhinderten diese Verschiebungen mindestens, dass die Knochenzelle eine lokale Kristallstruktur bildet, die die Knochenzelle schlimmstenfalls zerstört, in der gleichen Art wie eine Raspel, auch wenn dies nur gelegentlich passiert. An diesem Schnittstellenbereich bleibt nur weiches und amorphes Bindegewebe ohne Kristallbestandteile zurĂŒck. Es kommt nicht zur Osseointegration.
Sind die Verschiebungsbewegungen jedoch kleiner als die Zellen, wird die Knochenzelle nicht beschÀdigt und kann folglich eine Kristallstruktur ausbilden. Wenn zudem ein bestimmter Punkt der Verbindung auf Grund von Ruhephasen und ausbleibenden intensiven Bewegungen weder beansprucht noch beschÀdigt wird, steht meiner Ansicht nach aus mechanischer oder geometrischer Sicht der Osseointegration nichts mehr im Wege.
Die Beseitigung der oben erwĂ€hnten mechanischen HinderungsgrĂŒnde und der Mikrobewegungen ist meiner Meinung nach fĂŒr die Osteointegration notwendig, aber nicht ausreichend, da auch das Knochenwachstum angeregt und die Voraussetzungen der BiokompatibilitĂ€t erfĂŒllt werden mĂŒssen.
2.10.4. Die Notwendigkeit der Vorspannung
Durch die Vorspannung, gewĂ€hrleistet durch die Geometrische Verankerung, können Mikrobewegungen beseitigt werden, die auftrĂ€ten, wenn die Prothese die Möglichkeit hĂ€tte, sich von ihrem Knochenbett zu entfernen und bei wechselnder Beanspruchung wieder anzunĂ€hern. Die Vorspannung bewirkt die permanente AusĂŒbung einer Kraft, die stark genug ist, um die Prothese gegen den Knochen zu drĂŒcken. Diese Kraft muss stets grösser sein als die Kraft, die die Prothese vom Knochen entfernt. Ist die Osseointegration erreicht und haben die Spannungen, denen der Knochen nach der Implantation ausgesetzt war, nachgelassen, hat die Vorbelastung nicht mehr denselben Nutzen wie in dem Stadium, als die Prothese lediglich durch PrimĂ€rstabilitĂ€t funktionierte.
Das Ausbleiben von Mikrobewegungen an einem bestimmten Punkt bedeutet nicht, dass es gar keine makroskopische Deformierung gibt. Verformen sich das Implantat und sein Knochenumfeld im Laufe der gelegentlich auch starken Folgebelastungen in Àhnlicher Grössenordnung gleichzeitig, treten die Mikrobewegungen nicht unbedingt auf. Werden die Mikrobewegungen unterbunden, bleiben Knochen und Implantat lokal weitflÀchig in engem Kontakt. Die Knochen-Implantats-Verbindung verhÀlt sich wie ein durchgehend aus einem einzigen Material bestehendes Objekt.
2.10.5. Zur IsoelastizitÀt
Echte IsoelastizitĂ€t ist fĂŒr mich die ideale Situation, wenn nicht utopisch, die dank Geometrischer Verankerung unter Beachtung der Belastungsverteilung und Vorbelastung annĂ€hernd erreichbar ist.
Eine HĂŒftprothese ist meiner Meinung nach isoelastisch, wenn bei einem Patienten die elastischen Schwingungen des Prothesenkopfzentrums genauso gross sind wie die der HĂŒfte (gĂ€be es dafĂŒr eine Messmethode) vor der Implantation oder der konterlateralen HĂŒfte bei gleicher Belastung.
Vor etwa dreissig Jahren wurde der Ausdruck âisoelastischâ etwas zu leichtfertig und irrefĂŒhrend fĂŒr die Beschreibung von weichen, elastischen Implantaten verwendet, deren Verformbarkeit die natĂŒrliche Knochenverformung jedoch um einiges ĂŒbertraf. Heute spreche ich in Zusammenhang mit diesen Implantaten vielmehr von HyperelastizitĂ€t.
Die HyperelastizitĂ€t dieser Implantate ermöglichte millimetergrosse Makrobewegungen des Implantats im Knochenbett, die zahlreiche VerschleissĂŒberreste entstehen liessen. Die Verwendung von Polyacetal und Polyethylen in unmittelbarer NĂ€he des Knochens, deren mikroskopisch kleine, aber sehr grossflĂ€chige durch Makrobewegungen abgelöste schuppenartige Fragmente den benachbarten Knochen zerstörten, fĂŒhrte ausserdem zu einem hohen Prozentsatz von Reoperationen.
2.10.6. Die Bewegungen in der Trochanterzone
In ein Femur mit eine HĂŒftprothese, die Trochanterzone verhĂ€lt sich anders. Da diese Zone den Prothesenschaft nicht vollstĂ€ndig umfasst, ergeben sich hier nicht die gleichen Vorteile wie fĂŒr die Verankerungszone durch die Konische Kupplung.
Meiner Meinung nach entfernt sich nicht die Prothese elastisch vom Knochen des Trochantermassivs, sondern ist vielmehr der Trochanter Major wÀhrend der Belastung starken ZugkrÀften ausgesetzt, die ihn zeitweise seitlich vom metaphysÀren Teil des Schaftes wegschieben.
Diese elastischen makroskopischen Verschiebungsbewegungen sind meiner Ansicht nach die Ursache fĂŒr in der Trochantergegend ( zone 1 ) auftretende Borten. Und ich glaube nicht, dass ein Prothesenhersteller diese Situation verbessern kann.
Meiner Meinung nach haben diese SĂ€umen keine negative Wirkung auf das Implantat. Risikobehaftet sind jedoch die durch Reiben des Kopfes in der Gelenkpfanne entstehenden VerschleissĂŒberreste, da sie sich in den Borten ablagern können.
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