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Die Geometrische Verankerung von Prothesen

2.8. Das Prinzip der Ausziehbarkeit

2.8.1. Zusammenfassung

Das Prinzip der Ausziehbarkeit befasst sich mit Elementen, die eine Prothesenentfernung geometrisch ermöglichen sollen.

Ein nach den Prinzipien der Geometrischen Verankerung hergestelltes Implantat besitzt die Eigenschaft der Ausziehbarkeit.

Es muss darauf geachtet werden, dass kein OberflÀchenelement weiter existiert, das der Ausziehbarkeit entgegenwirken könnte.

Dank der Konischen Kupplung zwischen Implantat und Knochenbett lösen sich die beiden Bestandteile ab Entfernungsbeginn gleichzeitig an allen BerĂŒhrungspunkten voneinander.

Bereits bei der Prothesenentwicklung mĂŒssen Instrument und Methode der Entfernung ebenso existieren wie die Technologie zur Befestigung des Instruments am Implantat. Es ist wĂŒnschenswert, dass das Instrument und seine Befestigung möglichst einfach und einheitlich gestaltet sind und eines Tages normiert werden können.

Die bereits osseointegrierten Prothesen ziehen relativ wenig Nutzen aus dieser Eigenschaft.

2.8.2. Die Ausziehbarkeit

Nicht selten kommt es bei orthopĂ€dischen Implantaten zu erneuten Operationen. Trotz der abgeschwĂ€chten Bezeichnung „Folgeoperation“ handelt es sich dabei stets um einen relativ schwierigen Eingriff.

Der Prothesenentwickler kann natĂŒrlich nicht alle Probleme vorab lösen, aber er muss die mit der Prothesenentfernung verbundenen Schwierigkeiten seinen Mitteln entsprechend so gering wie möglich halten, um eventuelle Auswirkungen auf den Knochen zu minimieren und die beste „zweite Verteidigungslinie“ zu bieten. Das Prinzip der Ausziehbarkeit muss bei der geometrischen Form und der Befestigungsart des Implantats im Knochen berĂŒcksichtigt werden.

Eine bestimmte Operationstechnik fĂŒr die Prothesenentfernung muss vorgesehen sein. Ferner sind gegebenenfalls spezifische, aber möglichst einfache Instrumente bereitzustellen, sowie die Befestigungsvorrichtung des Entfernungsinstruments am Implantat anzubringen.

Bei einigen Assistenzen konnte ich bei Prothesenentfernungsoperationen Probleme geometrischer Natur feststellen, die die Arbeit erschwerten und den Stress jeder Austauschoperation erhöhten.

Ein Grossteil dieser Schwierigkeiten kann bei der Konzeption neuer Implantate unter Anwendung einiger strenger geometrischer Regeln behoben werden.

2.8.3. Die Hyperausziehbarkeit muss vermieden werden

Die Eignung der Prothese zur Entfernung darf nicht ad Absurdum gesteigert werden und zum Verzicht auf eine optimale Befestigung bis hin zu einer Art Hyperausziehbarkeit fĂŒhren. Auf dem Markt existieren Prothesen, deren BefestigungsfĂ€higkeit im Hinblick auf eine eventuelle Reoperation verĂ€ndert wurde. Dies verhindert das Erreichen der SekundĂ€r- oder gar der PrimĂ€rstabilitĂ€t.

Eine Prothese mit ĂŒbermĂ€ssiger Ausziehbarkeit verursacht bei allen Patienten ein erhöhtes Lockerungsrisiko, wĂ€hrend eventuelle Schwierigkeiten bei der Entfernung nur bei einer sehr geringen Anzahl von Patienten zu erwarten sind.

Zu beobachten ist dies beispielsweise an zementfreien SchÀften mit poliertem Distalbereich. SchÀfte mit umfangreichem Proximalbereich und zylinderförmigem polierten Distalbereich stellen ein typisches Beispiel Hyperausziehbarkeit dar.

Diese Überlegungen zur Ausziehbarkeit verlieren ihre GĂŒltigkeit bei zementfreien SchĂ€ften, bei denen die Osseointegration lĂ€ngst stattgefunden hat.

2.8.4. Ausziehbarkeit beim SL-Plus-Schaft

Gelingt die Einleitung der Implantatsentfernung in axialer Richtung, entfernen sich alle FlĂ€chen, die das Knochenbett berĂŒhren, gleichzeitig. So wird die Konische Kupplung im Kochen ermöglicht, die die Grundlage fĂŒr seine Immobilisierung bildet.

Kein geometrisches Element darf einer Prothesenentfernung, die den Knochen unbeschadet lÀsst, entgegenwirken.

Dies traf auf die ZweymĂŒller-SchĂ€fte der ersten Generation zu, die keine Ausziehbarkeit aufweisen konnten, da: einerseits die 4 LĂ€ngsrillen OberflĂ€chenelemente besassen, die der Entfernung entgegenwirkten, und andererseits die Proximaldicke dieser SchĂ€fte von vorne nach hinten kleiner als die Distaldicke war.

Der Schaft von 1979 stellt unbedingt das Gesetz der positiven Derivate nicht zufrieden, denn sie stellt dĂŒnnere Zonen vor in proximal als in distal. Der Hochgezogen-ZM Schaft ist zufriedenstellender, aber gegenwĂ€rtig viel OberflĂ€chen sind parallele zur Achse, wo das Abgeleitete in Z gleich null und nicht positiv ist. Dagegen die AlloClassic SchĂ€fte und SL Plus stellen vollkommen das Gesetz der positiven Abgeleitete zufrieden. ( *3.3.2. )

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ZweymĂŒller-SchĂ€fte von 1981 und Hochgezogen von 1985. Abschaffung der Rillen und parallele VerlĂ€ngerung der zentralen Zone

2.8.5. Entwicklung der Instrumente zur Entfernung bereits ab Implantatskonzipierung

Wie die Mehrzahl der Prothesen auf dem Markt besassen zum Beispiel die SchĂ€fte von M.E. MĂŒller keine instrumentelle Vorrichtung zur Prothesenentfernung. Das hemisphĂ€rische Loch unter dem Kopf sollte einen Ausschlagstift positionieren. Die HammerschlĂ€ge am Ausschlagstift bewirken Schocks in der Richtung des Trochanters, die oft Risse verursachen. Man musste den Schaft durch den Hals mit irgendeiner verfĂŒgbaren Zange erfassen, am Hammer in irgendeiner Direktion schlagen, die Zange beschĂ€digen, bis zur Mobilisierung des Schaftes.Die Spuren der Zange sind auf dem Bild sichtbar.

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MĂŒller-Geradschaft-Kopf mit Loch fĂŒr Stift

Die zementierten Prothesen von B.G. Weber besassen ein Loch zur Proximalentfernung, in das ein Haken von 6mm LĂ€nge zur Prothesenentfernung eingefĂŒhrt werden sollte. Bei den ZweymĂŒller-SchĂ€ften der ersten Generation wurde das Loch zur Entfernung und der Haken der Weber-SchĂ€fte ĂŒbernommen.

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Zementierter Schaft von B.G. Weber mit Loch fĂŒr Ausziehhaken

2.8.6. Der Ausziehhaken ist oft ungenĂŒgend

Bei den ZweymĂŒller-SchĂ€ften AlloClassic, die ich 1984 entwarf, befand sich das Loch zur Entfernung auf den Hals Ebene und war daher von der Halsseite zugĂ€nglich. Der Entfernungshaken, der auf einem koaxialen Hammer befestigt war, blieb unverĂ€ndert.

Wurde der Haken nicht weit genug in das Loch eingefĂŒhrt, verbog und löste er sich bei den ersten Stössen. Ich konnte mehrfach selbst beobachten, um SchĂ€fte von 1. Generation zu extrahieren, wie ein solcher Haken zerbrach.

Bei Reoperationen verwendete ich daher systematisch zur Sicherheit 2 neue Haken fĂŒr die Entfernung. Mehrmals musste auf die Prothesenentfernung verzichtet werden, da die 2 Haken zerbrochen waren.

Auf Grund dieser Beobachtungen entwickelte ich fĂŒr die von mir ab 1984 konzipierten Prothesen eine leistungsfĂ€hige, zuverlĂ€ssige und sehr einfache Vorrichtung zur Entfernung, das Gewinde M8.

2.8.7. Die Extraktion mit der Ausziehschraube und den Ausziehgewinde

Es handelt sich um ein Loch mit Gewinde am Ă€ussersten Proximalende des Schaftes, das fĂŒr die Schraube nach einer minimalen Reinigung des Bindegewebes leicht zugĂ€nglich ist.

Ein im Versuchslabor durchgefĂŒhrte Vergleich zwischen einem Haken und einer bis zum Anschlag eingeschraubten M8-Schraube fĂŒr die Prothesenentfernung bewiese, dass die Schraube 10 bis 20mal zugkrĂ€ftiger ist.

Dieses metrische M8 Gewinde mit 1.25mm Schritt wird hÀufig in der Mechanik verwendet. Eine Schraube oder ein Gewindeschaft mit diesem Standardgewinde kann auch 30 Jahre nach der Implantation im Bedarfsfall noch im Handel erworben werden, wÀhrend das Originalinstrument des Prothesenherstellers dagegen lÀngst nicht mehr erhÀltlich ist.

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Standardskizze des Extraktionsgewinde M8

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Meine Originalskizze der standard Extraktionsschraube, fĂŒr Schnellkupplung, mit Rettungsloch

Wie ich bei all meinen Implantaten vorgesehen habe, besass die instrumentelle Entfernungsschraube an der Spitze einen Kegelstumpfbereich von 90° und der Gewindeboden ebenfalls eine konische Form von 90°. Beim Einschrauben bis zum Anschlag – ca. 10 Windungsumdrehungen wer eine große BerĂŒhrungsflĂ€che gewĂ€hrleisten – wird die Spitze mit aller Kraft zentriert. Da bei dieser Vorrichtung weder Spielraum im Gewinde vorhanden ist, noch Vibrationen bei den Stössen auftreten und alle Windungen gleichzeitig belastet werden, bleiben die 2 Gewinde folglich unbeschĂ€digt.

Es wurde mehrfach auf die hypothetische Gefahr hingewiesen, der Knochen könne diese Entfernungsöffnung ausfĂŒllen. Diese Gefahr hat sich jedoch nie bestĂ€tigt, denn Knochengewebe setzt sich niemals in einem geschlossenen nicht vaskularen Hohlraum fest, der keinerlei Belastung ausgesetzt ist. Lediglich Bindegewebe kann sich dort festsetzen.

Extraktion und einfache Manipulation sollten nicht verwechselt werden.

Die fĂŒr Reoperationen verwendete Entfernungsschraube kommt mit ihrer ganzen Kraft zum Einsatz. Wird eine Schraube dagegen nur zur eine Versuchsprothese zu halten verwendet, benötigt sie keinerlei Kraft. Die allein zur Manipulieren bestimmte Schraube könnte daher nur 5 Windungen besitzen.

Bis heute halte ich nach wie vor an meiner Meinung fest, dass dieses Gewindeentfernungssystem M8 bei den meisten Prothesen auf dem Markt angewandt werden sollte. Bei anderen Implantaten sollte stets ein spezifisches Entfernungssystem mit Angabe der Instrumente und Informationen zu den operationstechnischen Details verfĂŒgbar sein.

In meiner Eigenschaft als Mitglied der Normierungskommissionen hatte ich sogar vor, ein Projekt EuropÀischer Norm zur Ausziehbarkeit von Prothesen zu verfassen.

FĂŒr einen Schaft mit neuerer Befestigung gestaltet sich die Reoperation dank der Entfernungsschraube M8 unproblematisch, wĂ€hrend andere Befestigungsmittel, wie etwa ein Querhaken in einem Loch, schon nicht mehr genĂŒgend Kraft besitzen.

Die entsprechende Gewindeentfernungsschraube, die auf einem koaxialen Hammer befestigt wird, ist aussergewöhnlich leistungsfÀhig. Weder Schaft- noch Schraubengewinde werden weder durch ruckartige und starke Stösse bei der Prothesenentfernung beschÀdigt.

2.8.8. Anwendungsbeispiele

ProthesenschÀften mit oder ohne Zement, die ich seit 1986 entwickelte, war dieses Entfernungsgewinde M8 vorgesehen. Lediglich einige besonders kleine Grössen besassen ein Gewinde M6.

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Geneigte Ausziehgewinde M8 bei Decoulx-Deckner zementierten SchÀften( 1986 )

Bild 7 CS Plus Dustmann mit geneigte M8 Ausziehgewinde

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Coaxiale M8 Ausziehgewinde bei ZweymĂŒller SL-Plus SchĂ€ften( 1992 )

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Beim ZweymĂŒller SL-Plus Schaft befindet sich das Entfernungsgewinde genau auf der LĂ€ngsachse des Schaftes, die gleichzeitig die geometrische Achse der konischen Kupplung im Knochen bildet

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Geneigte M8 Ausziehgewinde bei Holz-Zacher zementierten SchÀften ( Deckner 1994 )

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Bei dem geraden zementierten Schaft, der unter der Bezeichnung Holz-Zacher bekannt ist, befindet sich die Achse des Entfernungsgewindes M8 nicht auf der LĂ€ngsachse, die zur Schaftberechnung diente, sondern ist leicht nach in varus geneigt (in Halsrichtung)

Kein im Laufe der Extraktion ausgeĂŒbter Schock wird gegen das Trochanter Major gelenkt. So wird der Konflikt zwischen dem Trochanter Major und dem gekrĂŒmmten Bereich des zementierten Schaftes im Trochanter mit Hilfe einer geringen elastischen Verformung des Trochanters bei der Prothesenentfernung gelöst, ohne dass diese Verformung einen Riss hervorzurufen droht.

2.8.9. Die Zementierrillen respektieren den Ausziehbarkeit

Zudem sind die LĂ€ngsrillen dieses Holz-Zacher-Schaftes, die fĂŒr dessen Stabilisierung im Zementbett vorgesehen sind, im VerhĂ€ltnis zur Schaftberechnungsachse ebenfalls nach innen geneigt. Die Achse dieser Rillen ist parallel zur Mediale Kontur der Verankerungszone. Die Rillen werden linear breiter und gleichzeitig zur Spitze hin tiefer. Die Einhaltung der Ausziehbarkeit-Bedingungen gewĂ€hrleistet dass das Implantat bei einer Prothesenentfernung an allen Punkten gleichzeitig von seiner ZementhĂŒlle entfernt wird. Diese Geometrie hat dasselbe Verhalten wie eine konische Verbindung wĂ€hrend der Trennung. Das Gesetz der positiven Derivate wird respektiert.

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Die Zementierrillen regulieren genau die Wachstum der Querschnitt wÀhrend der Eindringen im Zement

Diese Rillen lenken den Schaft in den ersten Millimetern der Entfernung und bewegen diesen von Anfang an vom Trochanter weg, um das Rissrisiko zu verringern. Jede der drei Facetten der zwei Zementierungsrillen erfĂŒllt aus mathematischer Sicht die Bedingungen der Ausziehbarkeit und entfernt sich bereits zu Beginn von allen BerĂŒhrungspunkten mit dem Zement, wie dies bei einer konischen Kupplung der Fall wĂ€re.

Ich möchte daran erinnern, dass der noch weiche Zement beim Einstossen dem Schaft eine gekrĂŒmmte Bahn ermöglicht, die den Trochanter verschont, wĂ€hrend bei der Entfernung, wenn der Zement hart ist, der Schaft, wenn die Rillen parallel zur Schaftachse sind, mit dem grossen Trochanter in Konflikt gerĂ€t. Die ElastizitĂ€t des Trochanter ist ungenĂŒgend, um in Zartheit diesen Konflikt zu lösen.

Die Eigenschaften der Ausziehbarkeit, die ich auf diesen zementierten Schaft anwandte, beziehe ich aus meiner Erfahrung bei Reoperationen selbstblockierender MĂŒller SchĂ€fte, deren Trochantergebiet einen abrupten Winkel und zur Schaftachse parallele Zementierungsrillen aufweist.

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MĂŒller Geradschaft, das mit seiner gelockerten Zementköcher extrahiert wurde

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MĂŒller stem. Selbst ohne proximalen Zement lĂ€sst sich der Schaft nicht leicht aus seiner distalen HĂŒlse herausziehen

Bei der Prothesenentfernung lenkten diese sich nicht verbreiternden Rillen den Schaft zwangslÀufig in Richtung des Trochanters, ohne diesem jedoch eine Entfernung vom Trochanter zu ermöglichen. FÀnde im Vorfeld in der Trochanterzone nicht eine Àusserst behutsame Zemententfernung statt, bliebe der grosse Trochanter von Rissen nicht verschont.

Leider haben zahlreiche SchĂ€fte auf dem Markt diese Ästhetik einer SchrĂ€gzone des Trochantergebietes ĂŒbernommen, die das Rissrisiko bei Folgeoperationen erhöht.

Zur Lösung dieses Problems fĂŒhrte ich eine durchgehende Wölbung der Trochanterzone bei diesem geraden zementierten Holz-Zacher-Schaft ein.

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NĂ€chste: Das Trennungsprinzip der Rollen der Module

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